Regionalbischof Christian Kopp

Was ist eigentlich „evangelisch“?

Eine knappe Zusammenfassung des Buches von Okko Herlyn mit demselben Titel in 16 Abschnitten.

,Evangelisch' sind Menschen, Gemeinden und Kirchen, die sich vor allem auf das Evangelium, die gute Botschaft von Jesus Christus, beziehen. Daher liegt in evangelischen Kirchen auch meist vorne auf dem Altar eine aufgeschlagene Bibel.

Die Bibel ist das Zentrum für evangelische Christen. Aber wo anfangen, wenn man noch nie darin gelesen hat? Keine Angst. Sie teilt sich in 66 Bücher. Man kann zum Beispiel mit dem Markus-Evangelium anfangen. Oder mit einem Psalm. Eine moderne Übersetzung mit Erklärungen am Rand kann helfen.

Evangelische Christen messen der Geschichte Gottes mit uns Menschen die größte Bedeutung bei. Der Geschichte, wie sie in Jesus Christus anschaulich geworden ist. Ihm kommt allein eine wirklich bestimmende Kraft in unserem Leben zu. (Nicht etwa einer politischen Ideologie oder einer kirchlichen Institution.)

„Evangelium" bedeutet wörtlich übersetzt: „gute Botschaft". Und worin besteht sie? Dass die Verbindung zwischen Gott und mir in Ordnung ist. Nicht weil ich ein besonders guter Mensch wäre. Sondern weil Gott mit liebevoll entgegenkommt. Wie das aussehen kann, macht Jesus deutlich: Jeder ist ihm wichtig. Ohne dass man vorher etwas geleistet haben müsste. Seine Liebe ist „gratis", sozusagen.

Woher weiß ich das? Indem ich die „Belastungsprobe" mache. Es ausprobiere. Glauben ist dann nicht fromme Leistung. Glaube ist nicht religiöse Pflichterfüllung. Glaube ist nicht Opfer, nicht Pilgerpflicht, nicht Heiligenverehrung, nicht Rosenkranzbeten. Glauben ist Vertrauen.

Und was ist mit unserem Verstand? Geben wir den „an der Garderobe ab"? Sicher nicht. Evangelische Christinnen und Christen denken durchaus nach, wenn es um Glaubensthemen geht. Daher ist auch die Predigt ein zentraler Teil des evangelischen Gottesdienstes. Da bekommt man Denkanstöße, die nachwirken.

Wie steht es um die evangelische Glaubenspraxis? Um die Spiritualität? Sie setzt nüchtern an. Kein Kult, kein Ritual und kein Gebet hat für sich genommen Wert. Was wir tun, öffnet im guten Fall den Raum dafür, dass Gott uns begegnet. „Bereitet dem HERRN den Weg" (Jes. 40, 3), fordert Jesaja im Alten Testament. Das gilt für unsere Spiritualität bis heute.

Beten bedeutet im evangelischen Verständnis antworten. Dazu gehört vorher das Hinhören. Hören auf das, was ich von Gott wahrnehme. Zum Beispiel, wenn mir ein Bibeltext begegnet. Der lenkt oft meinen Blick weg von mir selbst auf andere und die Welt. „Dein Reich komme. Dein Wille geschehe", beginnt Jesus das ,Vaterunser'.

Evangelische Ethik fragt durchaus danach, wie wir reden und was wir tun. Doch auch hier ist das, was ich tue und lasse, der zweite Schritt. Es ist quasi meine Reaktion darauf, wie Gott mir begegnet. Meine Orientierung an Werten wie den zehn Geboten ist nicht die ‚Eintrittskarte' in Gottes Welt, sondern meine Reaktion auf Gottes Zuwendung zu mir.

Wie ,geht' Gottesdienst? Auch da hilft ein Blick in die Bibel. Dort gibt es keinen ,Gottesdienst'! Es gibt Versammlungen, Zusammenkünfte und Gemeinschaft. Aber keine Vorschriften zum Ort oder zum Ablauf. Nicht fehlen sollen: die Bibel mit ihren Texten als Zentrum, das Gebet, ein gutes Miteinander — und das gemeinsame Essen. Also viel Freiheit in der Form!

Sakramente (das lateinische ,sacer', auf deutsch ‚heilig' steckt darin) kommen in der Bibel ebenfalls nicht vor. Augustin, ein kirchlich einflussreicher Denker, hat im 5. Jahrhundert nach Christus die Taufe und das Abendmahl als Sakramente festgelegt: Gott selber handelt da heilend und liebevoll an uns Menschen. Gibt es in der katholischen Kirche inzwischen sieben Sakramente, ist es in der evangelischen Kirche mit gutem Grund bei diesen beiden geblieben.

Jetzt ein Blick auf die Kirchenmusik. Sie hat deshalb ihren berechtigten Platz, weil das Musikmachen in der Bibel ganz selbstverständlich dazugehört — um Gott die Ehre zu geben und ihn groß zu machen. Unter dieser Prämisse ist vieles und ganz Buntes ,erlaubt'.

Soll man als Christ über den Glauben reden? Missionieren? Im Mittelalter hat man zwischen Laien (ganz normale Leute) und dem Klerus (den Geistlichen) als dem durch eine Weihe

ausgesonderten Priesterstand unterschieden. In der evangelischen Kirche ist mit Martin Luther der Gedanke vom ,Priestertum aller Gläubigen' wichtig geworden: Jeder kann — und sollte sogar - über seinen Glauben reden. „Zeigen, was man liebt", nennt der Theologe Fulbert Steffensky das. Der Respekt vor dem Fremden ist da allerdings vorausgesetzt.

Evangelische Kirche ist „Kirche von unten". Alle machen eine Gemeinde aus, allen ist das Evangelium anvertraut. Es wird an dem Gremium deutlich, das eine evangelische Kirchengemeinde leitet: Die ,Kirchenvorsteherinnen' und ‚Kirchenvorsteher' werden basisdemokratisch gewählt. Und im Kirchenvorstand, wo sie mit dem Pfarrer und der Pfarrerin zusammenarbeiten, zählt jede Stimme bei Abstimmungen gleichviel.

Die evangelische Kirche versteht sich als Kirche für andere. Das Evangelium gilt nicht nur für einzelne in einer Blase. Es ist in die Welt hineingesprochen. In der Diakonie, in der Bildungsarbeit und auch in manchem politischen Engagement drückt sich das aus. Im besten Fall hilft Kirche und dient den Menschen — dem Einzelnen und der Gesellschaft.

Immer wieder wird in der Bibel auch gelacht. Daher gehört auch der Humor zum Glauben und darf eine kräftige Farbe im Leben der evangelischen Kirche sein. Trotz aller Herausforderungen unserer Zeit. „Wo der Glaube ist, da ist auch Lachen", stellt schon Martin Luther fest.






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